SSP019 Neutralität und Pranger

Diesmal sind wir sehr aktuell und spezifisch. Die AfD hat in mehreren Bundesländern sogenannte „Pranger“ online gestellt, Websites, auf denen BürgerInnen melden sollen, wenn LehrerInnen sich im Unterricht gegen die AfD äußern und damit ihre Neutralität verletzen. Wir erklären, dass es dieses „Neutralitätsgebot“ nicht gibt und wie eigentlich Lehrkräfte, besonders Politiklehrer mit Diskurs umgehen und welche Konsequenzen diese Aktion auf Schulen haben kann.

Shownotes

Der Beutelsbacher Konsens

Der MDR zu den Briefen der AfD

6 Gedanken zu „SSP019 Neutralität und Pranger

  1. Marie

    Hi, ich bin keine Lehrerin. Ich dachte bisher, dass Lehrer auch irgendwelche Aussehens-Regeln haben, wie Polizisten. Polizisten dürfen doch nur natürliche Haarfarben haben und keine sichtbaren Tattoos. Hat dieser Unterschied nur mit der Uniform zu tun und gar nicht mit dem Beamtenstatus? Haben Lehrer irgendwelche Vorgaben? Könnte ein Lehrer auch mit gespaltener Zunge weiter arbeiten oder wäre damit eine Grenze überschritten?

    Antworten
    1. Thomas Beitragsautor

      Das ist sehr individuell. Ich habe diese Woche am Rande einer Fortbildung darüber geredet. Ich trage gerne alternative Sachen, bin an Stellen tätowiert, die vielleicht sichtbar, aber abdeckbar, sind und habe ein Septum Piercing in der Nase, das ich einklappen kann. Die Grundregel scheint zu sein: hängt von der Schulleitung ab und solange es nicht verfassungsfeindlich ist und versteckbar, ist es okay. Verstecken muss man es aber erst, wenn jemand ein Problem damit hat.

      Meine persönliche Einstellung ist, dass Pluralismus ein positiver Wert ist, den wir zeigen sollten. Die Idee, dass eine bestimmte Kleidung vertrauenwürdiger wirkt als andere, ist eigenartig.

      Antworten
  2. baba

    Nach ca. 45 Minuten sagt einer von euch, dass die Schüler „unmedial“ geworden seien und Medien kaum noch konsumierten. Das finde ich (weder Lehrer noch Vater und schon lange kein Schüler mehr) interessant, da ich dachte, dass die Schüler heutzutage medialer denn je seien, jedoch dank mangelnder Medienkompetenz Schwierigkeiten mit der Einordnung hätten.

    Gibt es zu diesem Thema bereits einen Podcast von euch oder könnt ihr das mal näher ausführen? Finde ich äußerst spannend!

    Dies ist der erste Podcast, den ich von euch höre. Gefiel mir sehr gut; danke für diese Einblicke in eine Welt (Schule), in die ich schon lange nicht mehr eingetaucht bin.

    Antworten
    1. Thomas Beitragsautor

      Erstmal danke für das Lob. Das war sehr wahrscheinlich ich. 🙂 Ich weiß nicht, ob wir dazu einen Podcast hinkriegen, aber ich vermerke es mal.

      Kurz kann ich dazu sagen: Medienkompetenz ist ein Problem, aber digital natives sind nunmal versiert mit der Nutzung. Das Problem ist eher das Erkennen von falschen Informationen und da vertrete ich die These, dass die jungen Leute das genauso wenig können, wie die Alten. Das Problem ist auch, dass alle Ansätze, das zu unterrichten schon daran scheitern, dass die Lehrkräfte meist keine Ahnung haben, ob sie die Qualität einer Information einschätzen können. (Ich nehme mich da nicht zwingend aus. ;)) Allerdings nehmen junge Menschen social media gar nicht mehr außerhalb privater Kommunikation nicht wahr. Das bedeutet: viele private Kontakte, keine gemeinsame Basis darüber wie die soziale Realität aussieht. Also im Sinn von Medienkonsum: unmedial.

      Antworten
  3. Pit1

    Zur ideologischen Debatte des Beutelsbacher Konsens:
    1. dass es kein Neutralitätsgebot gibt, ist nicht nur auf Kritik der Linken zurückzuführen, sondern allgemein auf die Methoden der Disziplinen. In der Geschichtswissenschaft (GeWi) ist es anerkannt, dass Geschichte(oder eher Geschichten) von einem Standpunkt aus konstruiert , erzählt, ausgewählt wird (das ist nicht nur Postmodern/Relativismus, sondern geht zurück bis zu Cicero, der zwischen der wirklichen Vergangenheit und der erzählten Vergangenheit = Geschichte unterschied). Dementsprechend wird Ge-Unterricht immer aus einem bestimmten Blickwinkel gemacht und der kann nur eben ideologisch(bzw. mit Gegenwartsinteresse) gerechtfertigt werden. Und es muss eben auch, dass immer eine gewisse Doktrin in der Pädagogik vorhanden sein (und sei es nur der Rahmenlehrplan, was in GeWi meistens eh eine Verkürzung auf Nationalgeschichte ist).
    2. der Beutelsbacher Konsens ist auslegungsbedürftig bis zur völligen Widersprüchlichkeit: Vieles was man mit den Überwältigungsverbot verbietet, kann man mit dem Kontroversitätsgebot wieder rechtfertigen (Themen z.B. emtionalisieren wäre gerechtfertigt für das Kontroversitätsgebot, aber kann auch begrenzt werden durch das Überwältigungsverbot [wobei dann auch wieder (emotionale) Überwältigung was anderes sein kann als eine Indoktrination und kann man jemanden auch kognitiv wie in Mathe überwältigen?], gibt bspw. Stimmen, die sagen, dass der Lehrer sich gefälligst positionieren soll bzw. als Vorbild zur Politisierung sein sollte, oder wie ist es bei von sich aus überwältigenden Themen wie dem Holocaust, Gewalt usw.? ).
    Wie ist es überhaupt, wenn man Guantanomo oder dergleichen politisch in einem Staat hat, dann muss man doch als Lehrer was dazu sagen?

    (sorry bei mir gab es irgendwie ein Problem mit NoScript, weiß nicht, ob der Kommentar abgeschickt wurde)

    Antworten
    1. Thomas Beitragsautor

      Kam zweimal an. 🙂

      Zu 1. Das ist ja in der Politikwissenschaft nicht anders. Ich hab ein Nasenpiercing und trage Einhorn T-Shirts. Es ist meiner Schülerschaft komplett klar, dass ich konservativ bin. Genau aber gegen diese Folie kann ich Unterricht machen, und zeigen, dass es eine Position gibt, die von Meinung abgekoppelt Sachverhalte betrachtet und dann den Raum für die eigene Interpretation bietet. Das muss dann ja nicht meine sein. Politische Mündigkeit lässt sich eigentlich nicht in einem politisch neutralen Raum lernen. Das Überwältigungsverbot ist hier dann aber das wichtige.

      Zu 2. Ich finde emotionalisieren grundsätzlich nicht zielführend. Die Manipulation wird immer erkannt, sie wird immer als diese kategorisiert. Stattdessen bin ich hier dafür: überprüfbare Fakten darstellen und die Schlussfolgerung und emotionale Reaktion begleiten. Da gibt es das Problem nicht. Ich glaube übrigens nicht, dass Mathe kognitiv überwältigt. ^^ Wenn ein Inhalt die intellektuellen Kompetenzen überschreitet braucht es Didaktik. Emotional ist das anders, und deswegen ist davon eher die Finger zu lassen. Ich bin bei „Lehrkräfte“ sollten sich positionieren. Ganz ehrlich: die Schülerschaft ist doch nicht bescheuert. Die merken auch so, wie du dazu stehst: also sei ehrlich. Eine Bekannte von mir kriegt beim Mauerfall wegen persönlicher Betroffenheit die Tränen (ich im übrigen auch…). Das kann man thematisieren und kontextualisieren. Ich denke nicht, dass der Beutelsbacher Konsens Grundlage für einen entmenschlichten Unterricht ist. Der ist soundso etwas, was gar nicht stattfinden sollte.

      Guantanamo und ähnliches mache ich eigentlich immer so, dass ich erzähle, was bekannt ist, und dann darauf hinweise, dass man das selbst bewerten muss. Meine eigene Bewertung kennzeichne ich, wenn ich sie gebe.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert